Freitag, 13. Juli 1990

Südtirol 1990 - Weißkugel, 3.739 m - Perfektes Gipfelglück am zweiten Tag der Doppeltour

Anni, ?, Gisela, Findelkind und Robert auf dem Gipfel
Nach der gestrigen Eingehtour auf die Finailspitze haben wir in der Schöne Aussicht Hütte gut geschlafen. Um 5:00 Uhr ist Wecken für die bevorstehende Tour auf die Weißkugel. Hüttenwirt Paul lässt es sich nicht nehmen, persönlich das Frühstück für uns zu bereiten. Wir sind offensichtlich die einzige Gruppe, die heute von hier zur Weißkugel aufbricht. Zu unserer Gruppe hat sich ein weiterer Teilnehmer gesellt, ein Einheimischer, der sich sofort unauffällig integriert.
Das Wetter bereitet uns etwas Sorgen. Zeitweilig sind einige Berggipfel frei, aber überwiegend umhüllen tief liegende Wolken die Berge. Wie mag sich der Tag entwickeln? Immerhin haben wir eine längere und relativ anspruchsvolle Tour vor uns. 
 



Am Morgen vor der Hütte, Weißkugel im Hintergund (rechts)
Robert, unser Bergführer, verbreitet seinen Optimismus und erklärt, dass sich das Wetter bessern würde und wir auf jeden Fall starten sollen. O.K., das ist sein Job, und für sein Honorar möchte er uns auch den gewünschten Erfolg vermitteln. Das ist ehrenhaft, aber meint er auch tatsächlich, was er sagt?
Robert behält Recht! Das Wetter wird über den Tag immer besser und wir erleben eine unserer schönsten Gipfeltouren in einer einsamen Bergwelt, die uns an diesem Tag nahezu alleine gehört. Anni sieht das ähnlich und jodelt unermüdlich.






Bis zum Steinschlagjoch (3.250 m) durchqueren wir felsiges Gelände. Am Steinschlagjoch legen wir eine kurze Pause ein. Jetzt kommen Klettergurt und Steigeisen zum Einsatz. Wir betreten den Hintereisferner und gehen nun im Seil.
Inzwischen wird es heller. Die Wolken geben zeitweilig den Blick auf den Gipfel frei. Vor uns liegt das Hintereisjoch, unsere nächste Zwischen- etappe, ab der wir über den rechts liegenden Grat zum Gipfel aufsteigen. Robert legt ein angenehmes Tempo vor, mit dem niemand von uns in Schwierigkeiten gerät. Kurz vor dem Schlussanstieg zum Hintereisjoch verschnaufen wird noch einmal kurz. Inzwischen dringt die Sonne immer häufiger durch die Wolken. Das Wetter entwickelt sich so, wie es Robert angekündigt hat.



Auf dem Hintereisjoch haben wir bereits eine Höhe von 3.480 m erreicht. Die Wolken geben den Blick auf die Berge der Ortlergruppe frei. Das muss mit einem Foto dokumentiert werden. Anni jodelt mehrmals kräftig. "Musst du nicht jodeln?", fragt sie Gisela. Nein, Gisela muss nicht jodeln, ihr scheint das Jodel-Gen zu fehlen und sie vermisst es auch nicht wirklich. Anni erklärt, dass sie eigentlich gar nicht bewusst jodelt. Es bricht aus ihr heraus als Ausdruck des puren Glücks, das sie in solchen Momenten empfindet. 






Ab dem Hintereisjoch gehen wir zunächst genussvoll über einen schönen Firngrat. Der Gipfel ist nun nicht mehr weit. Wir sehen das Gipfelkreuz deutlich vor uns. Dazwischen liegt aber noch ein felsiger Gipfelgrat, der als letzte Hürde genommen werden muss.










Jetzt ist Robert gefordert. Er steigt vor, legt die Sicherung und lässt uns in kurzen Abständen nachsteigen. "Soooo", sagt er, "gut gemacht!" Robert strahlt eine Souveränität und Ruhe aus, die sich auf uns überträgt. Er hat alles unter Kontrolle und wir vertrauen seiner Kompetenz. Selbstverständlich ist keiner der Gruppe zu dieser Tour voraussetzungslos angetreten, aber wir bewegen uns in einer für uns ungewöhnten Höhe und einem für uns schwierigen Gelände. Alleine könnten wir diese Tour niemals gehen, aber als wirklich schwer empfinden wir den Weg dank Roberts Führung nie. 

















Das Gipfelkreuz ist erreicht! Nur selten erlebte Glücksgefühle erfassen uns. "Berg heil!" Bis jetzt waren wir alleine unterwegs, nun hören wir Geräusche und Stimmen. Zwei Österreicher kommen mit ihrem Bergführer aus einer anderen Richtung kurz nach uns auf den Gipfel. Für viel mehr Leute würde der Platz hier auch nicht ausreichen. "Grüßt euch, Kameraden. Berg heil!"
Für eine größere Pause ist es hier zu kalt und zu unbequem. Einige Fotos müssen sein, Anni jodelt mehrere Male, dann steigen wir wieder ab für die verdiente Gipfeljause an einen windgeschützten, sonnigen Ort beim Hintereisjoch.



Nachbemerkung
Das intensive Erlebnis dieser Tour ist auch nach mehr als 20 Jahren noch immer tief in unserer Erinnerung verankert. Die Tour auf die Weißkugel war unsere letzte Tour mit Robert als Bergführer. Mit der inzwischen gewonnenen eigenen Erfahrung erreichen wir in den Bergen eine höhere Selbständigkeit, mit der wie uns in den Folgejahren alpine Klettersteige erschließen. Unser bevorzugtes Gebiet ist die Brenta, in der wir im Laufe der Jahre sieben Touren durchführen. Bei einer unserer Brenta-Touren treffen wir Robert noch einmal an der Alimonta-Hütte, in der er während einer geführten Tour ebenso wie wir übernachtet. Danach haben sich unsere Wege nicht mehr gekreuzt. Robert leitet heute eine Bergsteigerschule in Südtirol: MeranAlpin

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